I. Sandwell: Culture and society in later Roman Antioch

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Titel
Culture and society in later Roman Antioch. Papers from a colloquium, London, 15th December 2001


Herausgeber
Sandwell, Isabella; Huskinson, Janet
Erschienen
Oxford 2004: Oxbow Books
Anzahl Seiten
152 S.
Preis
£24.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sabine Hübner, Institut für Altertumswissenschaften, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Im Mittelpunkt dieses Kolloquiumsbandes zum spätantiken Antiochia stehen die Themen Bildung und öffentliches Leben in der Stadt, Christianisierung, wirtschaftliche Beziehungen zwischen der Stadt und ihrem Umland sowie Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Ober- und Unterschichten.1 Die vergleichsweise geringe Beachtung, die Antiochia als eine der größten Städte des spätrömischen Reiches bis vor wenigen Jahren im Verhältnis zu Rom, Konstantinopel oder Alexandria in der Forschung gefunden hat, wird von den Herausgebern auf die wenigen archäologischen Reste städtebaulicher Anlagen, auf die heutige Lage der Stadt im Grenzgebiet zwischen der Türkei und Syrien, ihre Position fernab von den übrigen Stätten der antiken Welt, ihre frühe Islamisierung und ihre Blütezeit in einer Epoche zurückgeführt, der sich erst in den letzten Jahrzehnten das Interesse der Forschung zugewandt hat. Einen weiteren Grund für das vermehrte Interesse, das in jüngster Zeit Antiochia gewidmet wurde, dürften die in den letzten Jahren intensivierten Forschungen zur spätantiken Stadt im Allgemeinen darstellen.2

Im ersten Aufsatz übersetzt Samuel Lieu (S. 13-23) Passagen aus Briefen und Reden des Libanius und zeigt am Lebensweg des Rhetors, wie die akademische Ausbildung in Antiochia und allgemein in der östlichen Reichshälfte verlief. Die Quellenpassagen werfen Schlaglichter auf das studentische Leben der damaligen Zeit, die akademische Karriere, das Verhältnis zwischen dem Professor und seinen Studenten, Rivalitäten zwischen den Professoren und das finanzielle Auskommen der wissenschaftlichen Assistenten und Professoren. Auch Veränderungen in der höheren Bildung, die sich bereits am Ende des 4. Jahrhunderts abzeichneten, kommen zur Sprache: Schulen der griechischen Rhetorik wie die des Libanius, die den Anspruch auf Allgemeinbildung erhoben, sahen sich in Konkurrenz zu den neu eröffnenden, auf Rechtswissenschaften spezialisierten Schulen und denen für lateinische Rhetorik, der Amtssprache des Reiches, deren Kenntnis wichtig für eine Karriere in der höheren Staatsadministration war.

Haubold und Miles (S. 24-34) befassen sich mit der Rede des Libanius "Zur Verteidigung der Pantomime", die dieser als fiktionale Gegenrede zur im 2. Jahrhundert verfassten Rede des Aelius Aristides "Gegen die Tänzer" konstruierte. Die hier behandelte Rede stand lange im Zentrum der Diskussion über die Einstellung des Libanius zum Schauspiel, denn in früheren Schriften hatte er sich dezidiert ablehnend gegenüber Theater und Schauspielern geäußert. Die Rede wurde in der Forschung daher entweder als rein rhetorische Übung des Libanius abgetan, oder man machte ein einschneidendes historisches Ereignis für den Meinungsumschwung des Libanius verantwortlich. Haubold and Miles betrachten hingegen nun die gewandelte Sicht des Libanius als Zeichen dafür, dass Libanius die Pantomime als kulturelles Medium zur Vermittlung zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Griechen und Nicht-Griechen sowie Gebildeten und Ungebildeten erkannte, um in der Stadt Spannungen zwischen diesen Gegenpolen zu mildern.3 Die Pantomime wird bei ihm zum Mittel und Symbol der sozialen und kulturellen Integration, gar zur Vermittlerin des hellenistischen Bildungsgutes an die breite Masse. Die Ausführungen des Libanius zur Pantomime werden in Hinblick auf die frühere Verurteilung der Schauspiele von den Autoren überzeugend als "brilliant thought experiment" des Rhetors gedeutet; dies bedeute jedoch nicht, dass er seine Meinung zur Pantomime grundsätzlich gewandelt habe.

Sandwell (S. 35-58) untersucht anhand der Schriften des Chrysostomos dessen Einstellung zum Verhältnis zwischen Kirche, kaiserlicher Gesetzgebung und städtischem Leben in Antiochia und versucht, die Grenzen nachzuzeichnen, die Chrysostomos zwischen Geistlichem und Weltlichem zieht. Sandwell sieht Chrysostomos dabei fest eingebunden in eine "Antiochener Schule" der christlichen Weltauffassung. Die Beurteilung des Verhältnisses zwischen Stadt und Kirche ist in den Schriften des Chrysostomos jedoch nicht einheitlich. Einerseits plädiert er dafür, der weltlichen Macht als einer neutralen irdischen Macht zu gehorchen, um Ruhe und Ordnung auf Erden zu erhalten. Er misst ihr jedoch keine religiöse Bedeutung zu. Andererseits kann Sandwell anhand einer Analyse von signifikanten Passagen in den Schriften des Chrysostomos zeigen, dass es sein Ziel war, jeden Bereich des öffentlichen und privaten Lebens mit religiöser Bedeutung zu erfüllen und keinen neutralen Grund zwischen einer scharf getrennten paganen und christlichen Welt zu lassen, den beide Seiten bewohnen könnten. Sandwell sieht die Erklärung für diese Widersprüche in der spätantiken Rhetorik begründet, die weniger formallogisch als vielmehr situationsbedingt argumentierte. Sandwell beruft sich bei ihrer Argumentation auf eine Untersuchung zur Civitas Dei des Augustin, die zu ähnlichen Ergebnissen kam.4

Trombley (S. 59-85) befasst sich anhand der Inschriften aus dem Umland von Antiochia, vor allem aus dem Kalksteinmassiv im Osten der Stadt, mit der Christianisierung Antiochias im 4. und 5. Jahrhundert und kann anhand neuer Funde frühere Ergebnisse revidieren.5 Die breite Christianisierung des antiochenischen Umlands fand erst im späten 4. und frühen 5. Jahrhundert statt, rund 70 bis 100 Jahre später als bislang vermutet. Die Merkmale, anhand derer Trombley die Zuweisung der Monumente zu christlichen oder paganen Errichtern vornimmt, können jedoch keineswegs als sichere Kriterien gelten.6 In einem Appendix bringt Trombley vier weitere Beispiele aus einer anderen syrischen Region, der Apamene, die belegen sollen, dass zumindest im 4. Jahrhundert der pagane Kultbetrieb in Syrien noch in seinen gewohnten Bahnen verlief. Die Datierung der beiden entscheidenden Zeugnisse, die in eine Zeit nach 330 weisen sollen, ist jedoch unsicher.7

Vorderstrasse (S. 86-101) beschäftigt sich anhand der archäologischen Funde einer Grabung des Orient-Institutes der Universität Chicago aus dem Jahre 1931 ebenfalls mit der Christianisierung des ländlichen Umlandes von Antiochia und konzentriert sich in bewusster Abgrenzung zu Trombley vor allem auf zwei wenig beachtete Siedlungen in der Amuq -Ebene nördlich von Antiochia, das Dorf Çatal Hüyük und das Kloster Tell al-Judaidah, sowie auf die südwestlich gelegene Hafenstadt al-Mina. Die Grabung des Jahres 1931 war in erster Linie auf frühgeschichtliche Erkenntnisse ausgerichtet und hatte nur wenige der entdeckten spätantiken Zeugnisse aufgenommen. Die von Vorderstrasse vorgestellten Zwischenergebnisse ihrer Forschung zu den wenigen bislang publizierten spätantiken Zeugnissen aus den drei genannten Orten sollen die Grundlage und den Ausgangspunkt für künftige Ausgrabungen und Surveys in dieser Gegend bieten.

Casana (S. 102-125) liefert einen Zwischenbericht über den Stand der Forschungen des 1995 gestarteten Amuq Valley Regional Project der Universität Chicago. Anhand von militärischen Satellitenaufnahmen aus den 1960er und 1970er-Jahren und literarischen Quellen wurde das fruchtbare und schon seit dem Neolithikum dicht bevölkerte Amuq-Tal erforscht. Die archäologische Feldforschung zeigte, dass deren Bewohner in der Hauptsache von der intensiven Landwirtschaft (Öl und Wein) lebten. Daneben wurde aber auch gemischte Landwirtschaft für den eigenen Bedarf getrieben. Aufgrund von Keramik-, Glas- und Mosaikfunden und in einigen Orten auch Monumentalbauten schließt man auf einen nicht geringen Wohlstand dieser Dörfer und Kleinstädte. Neben kultur- und sozialwissenschaftlichen Themen wird von Casana auch das Problem der Umweltveränderungen in Form von Erosionen, Überflutungen und Versandungen angesprochen, die von ihm vor allem auf die in der Spätantike ihren Höhepunkt erlangende Entwaldung und Besiedlung der Anhöhen zurückgeführt wird. Casana weist auf die Notwendigkeit und Bedeutung weiterer archäologischer Feldforschungen im Amuq-Tal für unsere Kenntnisse zu spätantiken dörflichen Siedlungen hin.

Simon Ellis (S. 126-133) betrachtet in seinem Beitrag anhand von archäologischen und literarischen Quellen die Wohn- und Lebensumstände der Unterschichten im spätantiken Antiochia. Im ersten Teil seines Aufsatzes geht er auf die Wohnformen der kleinen Händler in Antiochia ein, die in Läden oder Hütten in langen Ladenkolonnaden lebten und arbeiten.8 Eine andere Wohnform für die Unterschichten war ab dem 5. Jahrhundert und insbesondere im 6. Jahrhundert die Einteilung einstiger Einfamilienvillen und nicht mehr genutzter öffentlicher Gebäude in mehrere kleinere Apartments. Ellis charakterisiert diese Wohnformen als eine neue, in der frühen Kaiserzeit nicht existierende Form der Architektur, deren genauere Erforschung neue Erkenntnisse zu den Unterschichten der spätantiken Städte und deren sozialem Milieu liefern könne. Da diese Entwicklungen schon am Ende des 4. Jahrhunderts einsetzten, hält Ellis es für widerlegt, dass man diese Entwicklungen vor allem auf einen Bevölkerungsrückgang durch die Persereinfälle im 6. Jahrhundert zurückführen kann. Am Ende seiner Ausführungen bettet Ellis die Ergebnisse in den Forschungsstand zu anderen spätantiken Städten des Mittelmeerraumes wie Sardes9, Ephesos10, Karthago und Rom ein, die mit den Beobachtungen in Antiochia insofern übereinstimmen, als dass die Umnutzung und Aufteilung älterer Oberschichten-Wohnhäuser ab dem 5. Jahrhundert in all diesen Städten zu finden ist. Spätestens ab der Mitte des 6. Jahrhunderts wurden hier keine großen aristokratischen Peristylhäuser mehr gebaut.11

Huskinson (S. 134-152) befasst sich mit den spätantiken Mosaiken aus Antiochia als Quelle zur Kultur- und Sozialgeschichte. Die Wandlung der traditionellen städtischen Werte, beeinflusst durch den Aufstieg der Kirche und dem Niedergang der städtischen Kurialenschicht, spiegeln sich auch in den Bildthemen der Mosaike wider. Diese gingen von hellenistischen Motiven wie Darstellungen von Göttern oder Figuren aus der Mythologie, die im 2. und 3. Jahrhundert vorherrschten, zu auch religiös vielseitig deutbaren Motiven wie etwa der Personifikation von Tugenden, Stadtdarstellungen, Jagdszenen oder Tierdarstellungen über. Huskinson geht davon aus, dass mythologische Darstellungen ab dem 4. Jahrhundert unüblich wurden; mythologische Mosaikdarstellungen und literarische Zeugnisse aus dem 6. Jahrhundert widersprechen jedoch ihrer These.12 Huskinson argumentiert zudem an vielen Stellen mit dem argumentum ex silentio, obwohl sie selbst an anderer Stelle auf den schlechten Erhaltungszustand, den oftmals fehlenden Fundkontext und die schwierige Datierung der Mosaike hinweist (S. 138).

Ein im Vorwort angekündigter Punkt (S. 9) kommt in vielen Beiträgen leider zu kurz. Die meisten der Autoren - mit Ausnahme von Sandwell und Ellis - heben ihren Blick nicht über den lokalen Horizont und ordnen ihre Ergebnisse zu Antiochia nicht in die in jüngster Zeit zahlreich erschienenen kultur-, wirtschafts-, sozial- und religionsgeschichtlichen Forschungen zu anderen Städten der spätantiken Welt ein. Gleichwohl zeigt dieser Kolloquiumsband durch die Breite seiner Themen, die sich mit unterschiedlichen Aspekten des städtischen Lebens in Antiochia in der Spätantike beschäftigen, wie facettenreich diese multikulturelle, multireligiöse, an Sprachen und Ethnien reiche Stadt war. Die Beiträge aus den verschiedenen Teildisziplinen, die Schlaglichter auf die aktuellen Forschungen zu Antiochia und dem Umland werfen, machen das Potential für weitere Untersuchungen zu dieser Stadt deutlich.

Anmerkungen:
1 Die im Jahre 2000 eröffnete Ausstellung "Antioch: The Lost Ancient City", die in Worcester und Baltimore zu sehen war, und die Lyoner Konferenz im Oktober 2001 "Antioch de Syrie: Histoire, images et traces de la ville antique" gaben den Anstoß für dieses Symposium.
2 Bauer, F. A., Stadt, Platz und Denkmal in der Spätantike. Untersuchungen zur Ausstattung des öffentlichen Raums in den spätantiken Städten Rom, Konstantinopel und Ephesos, Mainz 1996; Brogiolo, G. P.; Gauthier, N.; Christie, N. (Hgg.), Towns and their Territories between Late Antiquity and the Early Middle Ages, Leiden 2000; Liebeschuetz, J. H. W. G., Decline and Fall of the Roman City, Oxford 2001; Lavan, L. (Hg.), Recent Research in Late-Antique Urbanism, Portsmouth 2001; Severin, H.-G. (Hg.), Die spätantike Stadt und ihre Christianisierung. Symposion vom 14. bis 16. Februar 2000 in Halle/Saale, Wiesbaden 2003.
3 So auch Liebeschuetz (wie Anm. 2), S. 224, der nicht genannt wird.
4 Markus, R. A., History and Society in the Age of Saint Augustine, Cambridge 1970.
5 Trombley, F. R., Hellenic Religion and Christianization c. 370-529, Leiden 1993-1994, 247-283.
6 Trombley wertet alle Monumente als pagan, die kein Kreuz tragen. Nur in einer Inschrift aus dem Jahr 367/68 wird eine pagane Gottheit, Zeus Koryphaios, genannt, die übrigen als vorchristlich eingestuften Inschriften werden aufgrund des Fehlens christlicher Hinweise wie Namen oder Symbole als pagan eingestuft.
7 S. 79f., Nr. 3 und 4 werden beide mit Fragezeichen auf das Jahr 360 datiert, eine Datierung in das Jahr 259/60 (!) ist aber auch möglich (vgl. Anm. 134). Die fünfte Inschrift zu drei Männern aus Orman in der Provinz Arabia aus dem Jahre 517 wird sich nur aufgrund der erwähnten katharsis nur schwer als Beleg für einen heidnischen Kult halten lassen.
8 Lavan betont die Bedeutung der spätantiken Ladenarkaden als Indikatoren für städtische Prosperität, vgl. Lavan, L., The Late-Antique City: A Bibliographical Essay, in: Lavan (wie Anm. 2), S. 21.
9 Zu berücksichtigen wäre noch gewesen: Rautmann, M. L., A Late Roman Townhause at Sardis, in: Schwertheim, E. (Hg.), Forschungen in Lydien (Asia Minor Studien 17), Bonn 1995, S. 49-66.
10 Zu vergleichen gewesen wären die Arbeiten von: Lang-Auinger, C., Hanghaus 1 in Ephesos: Der Baubefund (Ephesos 8.3), Wien 1996, S. 181-208. Die Deutung der Aufteilung und Umnutzung des einstigen repräsentativen öffentlichen Gebäudes ab dem späten 4. Jahrhundert in schmalere Wohneinheiten für Wohnungen der Unterschichten, für kleine Werkstätten und Ladenreihen als Niedergang Ephesos' in der Spätantike widerspricht Whittow, M., Recent Research on the Late-Antique City in Asia Minor, in: Lavan (wie Anm. 2), S. 148f.
11 Zu Hierapolis und Aphrodisias vgl. Whittow, M., Recent Research on the Late-Antique City in Asia Minor, in: Lavan (wie Anm. 2), S. 140-145.
12 Vgl. eine Schrift des Prokopius von Gaza, die eine Malerei vom Ende des 5. bzw. Anfang des 6. Jahrhunderts beschreibt (Prokop, Descriptio imaginis, ed. P. Friedländer, Rom 1939); für weitere mythologische Anspielungen in der Literatur bis zum Ende des 6. Jahrhunderts vgl. Liebeschuetz (wie Anm. 2), S. 226-331; für mythologische Mosaikdarstellungen aus dem 6. Jahrhundert vgl. Baumann, P., Spätantike Stifter im heiligen Land, München 1997, S. 310.

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